Umwerfende Szenen einer kaputten Ehe
Fränkischer Tag, 20.10.2007
Was für ein Theatercoup! Die jüngste Uraufführung am Stadttheater Fürth verdient das Prädikat „unbedingt sehenswert“. Warum die Literaturoper „Ganna oder die Wahnwelt“, das ambitionierteste Auftragswerk zum Stadtjubiläum, noch mindestens fünf ausverkaufte Vorstellungen erleben sollte, ist schnell erklärt: Die szenische Realisierung ist schlichtweg ideal, die musikalische klappt, die Solisten sind alle so exzellente Sängerdarsteller, dass man sie einfach erlebt haben muss. Und Helmut Berger, Einspringer für Klaus Maria Brandauer, macht seine Sache ausgesprochen gut.
Das neue Werk selbst hat auch seine Meriten. Es war ein guter Griff, dass Komponist Hans Kraus-Hübner und Librettist Jörg W. Gronius aus der Fülle der Vorlagen von Jakob Wassermann sich nur den stark autobiografisch gefärbten Mittelteil des Romans „Josef Kerkhovens dritte Existenz“ vornahmen. Der Ganna-Stoff ist zeitlos gültig, ja brandaktuell in einer Gesellschaft, wo zerbrochene Ehen und Scheidungen an der Tagesordnung sind.
Besonders gelungen ist die Integration der kommentierenden und analysierenden Sprecherfigur des Jakob Wassermann in die Opernhandlung. Die Sicht auf die exzentrische Hauptperson und ihre Ehe- und Wahnwelt wird dadurch gleich mehrfach gebrochen. Der Komponist charakterisiert seinen Opernerstling selbst als „tradierte Moderne“. Den damit verbundenen, dezenten akademischen Hauch braucht keiner zu fürchten. Die Gesangslinien der vier Hauptrollen sind klar und ausdrucksstark angelegt; die süßen Kantilenen der Sopranpartie Bettinas könnten sogar süchtig machen.
Die Erregungen, Spannungen, Klangschattierungen und Farbenspiele, die aus dem Orchester kommen, sind direkt, eingängig und illustrativ, zuweilen aber für die Sänger doch zu dick besetzt. Hier wäre weniger manchmal mehr. Schade nur, dass Libretto und Komposition abgeschlossen waren, bevor die Theaterpraktiker ans Werk gingen. Auch wenn das Produktionsteam einige Szenen streichen konnte, gäbe es vor allem im 1. Akt noch einiges zu straffen, damit das Publikum sich angesichts der unnötigen Wiederholungen nicht mehr fragen muss, ob man es für dumm verkaufen will.
Trotzdem ist „Ganna“ ein Musiktheaterereignis von Rang. Was in erster Linie dem ingeniösen Regisseur Robert Lehmeier zu danken ist, der mit dem kongenialen Ausstatter Tom Musch das denkbar Beste aus den Protagonisten und dem Stück herausholt. Selbst wo die Vorlage durchhängt, kommt keine Langeweile auf, weil die Aufführung in ihrem szenischen Rhythmus, Spannungsbogen, Timing und Einfallsreichtum, in ihrer detailgenauen Personenzeichnung und dem auch raumgreifenden Beziehungsgeflecht die Zuschauer packt und nicht mehr loslässt. Verwundert fragt man sich, warum dieser großartige Szeniker, der so musikalisch, geschmackssicher, punktgenau und mit Leichtigkeit auch alle Theatermittel einzusetzen weiß, noch nicht an den ganz großen Opernhäusern angekommen ist.
Heike Grötzinger, die Titel-Antiheldin, ist aus gutem Grund schon seit zwei Jahren Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper. Die Mezzosopranistin füllt die mörderisch schwierige Ganna-Partie in jeder Hinsicht bravourös aus. Dass der Tenor James McLean (Alexander Herzog) sich neben ihr behaupten kann, ist umso bewundernswerter. Mit ihrem makellosen, wie aus dem Nichts aufblühenden Sopran besticht einmal mehr Barbara Emilia Schedel (Bettina), schöne Basstiefen bringt Andreas Mitschke (Dr. Josef Kerkhoven) ein.
Sechs weiter, ebenfalls mit großer Sorgfalt ausgewählte Solisten, die das intime Kammerspiel à la Ibsen mit ironischen und grotesken Zügen auffrischen, sowie Helmut Berger in der einfühlend gestalteten Sprechrolle sorgen für eine Ensembleleistung aus einem Guss. Die Nürnberger Symphoniker unter dem umsichtigen Frank Strobel tragen diesen Opernabend mit, den man insgesamt ganz ohne Umschweife über den grünen Klee loben darf. Bravo, Stadttheater Fürth!