Mitten aus dem Leben
Saul-Francesco Uys Rootenberg
Seit fünf Jahren gibt es das «Umculo»-Festival: Musiktheaterprojekte für Jugendliche aus den Elendsvierteln Kapstadts.
Ein Schuss. Ein Schrei. Ein Todesfall. Eine Szene in den Cape Flats, draußen vor den Toren Kapstadts, dargestellt von Schülern der Bloekombos Secondary High School. Wir hören Händel und neue Klänge. Endzeitlich anmutende Arien und Duette aus den Oratorien «Messiah» und «L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato» wechseln mit von Barock, Jazz und Xhosa-Melodien inspirierten Kompositionen der australischen Komponistin Catherine Milliken. In «Comfort Ye», der jüngsten Opernproduktion des sozialen Musikprojekts Umculo/Cape Festival, treffen unter der Regie Robert Lehmeiers, der auch für Konzept und Libretto verantwortlich zeichnet, vier professionelle Nachwuchssänger auf zwei Schauspieler und 22 Jugendliche. Deren Lebensgeschichten bilden die Basis des Geschehens.
Wir verfolgen das Drama eines jungen Mannes, der beschuldigt wird, ein Mädchen vergewaltigt zu haben und von einer Gang ermordet wird. Das Mädchen, seine Freundin, bleibt fassungslos zurück. Kraftvoll die Mezzosopranistin Bongiwe Nakani als Mutter des getöteten Mannes. Der Tenor Rheinald Thsepo Moagi gibt einen Polizisten, der am Ende zusammenbricht: Er war es, der sich an dem Mädchen vergangen hat. Wir hören das „Thou shalt break them“ aus „Messiah“ – die Arie erfährt vor diesem Hintergrund eine packende Deutung. Siyasanga Yonela Mbuyazwe bittet als Freundin des Polizisten mit eindringlichem Sopran um Vergebung. Die Stimme des Baritons Njabulo Sifiso Mthimkhulu wirkt wie ein Lichtstrahl auf der dunklen Bühne, als sich das Paar (die Schauspieler Xolisa Kapakati und Nicholate Ngongoshe) ein letztes Mal begegnet.
Dem Regisseur gelingt es, die vielen Talente auf ein zwingendes Stück Musiktheater einzuschwören. Er wird dabei von einem Projektorchester unterstützt, das unter der Leitung des Cembalisten Erik Dippenaar mit einer frischen, delikaten Klangkultur überrascht.
Seit 2010 hat Umculo jedes Jahr eine Produktion gestemmt. Die Intitiative ins Leben gerufen hat die in Berlin lebende Musikjournalistin Shirley Apthorp, deren Familie aus Südafrika stammt – für jene „frei geborene“ Generation, die ihre Identität, ihre Rolle und ihre Perspektiven in der Post-Apartheid-Gesellschaft Südafrikas zu begreifen sucht. „Comfort Ye“ beschreibt nicht zuletzt die Reise eines Landes, dessen Wunden noch längst nicht verheilt sind – entwickelt aus der Selbsterfahrung aller Beteiligten. Das Publikum der drei ausverkauften Vorstellungen im Artscape Theatre scheint das zu spüren, applaudiert begeistert, betroffen, beglückt. Manchmal ist sie mit Händen zu greifen, die kathartische Wirkung von Musik und Spiel.