Christus gratuliert Mephisto
Mit Gounod´s Oper „Faust“ sorgt das Landestheater Coburg für faustdicke Überraschungen
Bayerische Staatszeitung, 11.4.2008
Viel Kirche, viel sakraler Bühnenhintergrund warten auf die Besucher dieser Neuinszenierung Robert Lehmeiers. Doch die ersten Eindrücke trügen, den so sehr die Oberflächenansicht der Coburger Neuproduktion die herkömmlichen Klischeevorstellungen vom Gounod´schen „Sakralkitsch“ zu zementieren scheinen, so sicher erlebt man seine „faust“dicken Überraschungen. Vor allem gegen Ende.
Eingangs präludiert ein kleines infantiles Rollenspiel den Auftritt der Protagonisten: Klein-Mephisto und Klein-Grete versuchen sich im Hasch-mich. Als der erwachsene Mephisto auftritt, wird schnell Klartext geredet bzw. von Seiten der Ausstattung (Markus Meyer) angedeutet. Der alerte Dunkelmann (Albert Lenzen mit großer stimmlicher und schauspielerischer Souveränität) entledigt sich nämlich schnell seiner Teufelsmaske und präsentiert sich als Conferencier, der eine abgekartete Geschichte durchzieht – und dabei am Ende auch noch Jesus als Mitspieler gewinnen kann. Nein, sagt man sich, das wird mitnichten der Teufel sein, allenfalls ein advocatus diaboli. Aber ein wirkungsvoller, wie sich bald zeigt. Und so muss nach den ersten Zaubertricks die Beschwörung des allgegenwärtigen Kreuzes umso eindringlicher ausfallen, damit die gutkatholische Gesellschaft nochmals die Oberhand behält.
Bis zur Doppelpaarszene des dritten Aktes mit den Annäherungen Fausts an Marguerite (also dem Gretchen) und Mephisto an Marthe möchte man noch an eine brave Inszenierung glauben. Das Drama, allzu sehr auf den Gretchenstoff verengt, ist ohnehin nur schwierig mit einer ausreichenden Spannungskurve auszustatten.
Doch nach der Pause wandelt sich das Bild entscheidend. Schon im ersten Akt hatte die Söldner-Gewandung des Gretchen-Bruders Valentin Assoziationen an heutiges Kriegstreiben geweckt. Nun sieht der Chor, also die Glaubensgemeinschaft, Filmsequenzen aus irgendeinem Wüstenkrieg im Fernsehen, und deutsche Fahnen werden dazu geschwenkt. Die Menge wird zunehmend auf ein abgerichtetes Ja-Sager-Völkchen reduziert und sieht sich in der zweiten Szene gar als Schafherde maskiert und veralbert.
Mit dem folgenden Showdown zwischen dem Rächer Valentin, Siébel (den Petra Gruber als Stigmatisierten spielen muss), Faust (Jean-Noel Briand mit zunehmender tenoraler Überzeugungskraft), Mephisto und Gretchen (überragend: Jennifer Bird) geht es in ein überraschendes Finale. Da mischt sich ein veritabler Christus mit Dornenkrone und Wundmalen ins Geschehen und gratuliert Mephisto mit freundlich-erleichtertem Händedruck. Was wie ein schockierendes Fraternisieren ausschaut, deutet doch nur die Relativität der beiden Optionen an, die das Libretto am Opernschluss von Mephisto („Gerichtet!“) und vom Himmelschor („Gerettet“) anbieten lässt. Der diabolische Charmeur jedenfalls scheint das Ganze nur als Episode zu werten und schaut sich ostentativ die nächsten Kriegsbilder im Fernsehen an. Ergo: Er bleibt ein Arrangeur, vor dem man auf der Hut sein muss, weil er noch Pläne hat…