Chemnitz zeigt mit Oper „Fidelio“ eine bedrohliche „Zombie“-Gesellschaft
Die Inszenierung der Beethoven-Oper in Chemnitz schafft es, zum Nachdenken anzuregen. Ohne platt tagespolitisch zu werden, wirft sie aktuelle Fragen auf: Was wird aus denen, die sich abgehängt fühlen?
Leonore kennt keine Skrupel: Um ihren unrechtmäßig inhaftierten Ehemann Florestan zu befreien, schleicht sie sich als Mann verkleidet in das Gefängnis, in dem sie ihren Gatten vermutet. Die Tochter des Gefängniswärters Marzelline verliebt sich in die verkleidete Leonore, die sich Fidelio nennt. Sie nimmt es billigend in Kauf, dass die ahnungslose Marzelline ihre Beziehung aufgibt und dass ihr Vater seinen Job verlieren wird, wenn ihre wahren Beweggründe ans Licht kommen.
Ein Monolog statt Dialoge
Regisseur Robert Lehmeier erzählt die Geschichte der Befreiung Florestans konsequent aus der Sicht von Marzelline, dem eigentlichen Opfer der heroischen Tat Leonores. Dazu hat er alle Dialoge zwischen den Musiknummern gestrichen. Stattdessen hören wir den inneren Monolog Marzellines aus der Rückschau auf das Geschehen. Das erspart dem Publikum die Qual sprechender Opernsänger, die weder mit den Originaltexten noch in den zahlreichen Bearbeitungen der jüngeren Zeit jemals überzeugen konnten.
Letztlich erweist sich die Inhaftierung Florestans als „Betriebsunfall“ des totalitären Regimes – denn eigentlich ist der regimetreue Schriftsteller mit dem Minister befreundet. Nur ein Untergebener war über die Strenge geschlagen und hatte ihn quasi versehentlich verhaftet. Florestan verzeiht dem Minister, sobald er befreit ist.
Geschickter, feinfühliger Bezug auf Aktuelles
Wie ferngesteuerte Marionetten bejubelt eine Art „Zombie“-Gesellschaft diesen Ausgang – martialisch wird „Ein holdes Weib errungen, stimmen in unseren Jubel ein“ gesungen. Auch da ist Lehmeier sehr konsequent: Marzelline und Leonore bleiben übrig als die, die nichts gewonnen haben aus dieser Befreiung. Beide sind Opfer der Männergesellschaft, die sich im Schlusschor selbst feiert.
Robert Lehmeier schaut aus der Perspektive derer, die übrig bleiben auf das Stück. Er ist klug genug, seine Inszenierung nicht platt tagespolitisch zu gestalten. Aber die Frage, was wird denn aus denen, die sich betrogen fühlen, die wütend sind – und wie wird mit denen umgegangen, spielt eine zentrale Rolle.
Musikalisch fantasiearm
In diesem Schlusschor passt auch endlich die recht fantasielose musikalische Leitung des gesamten Abends von Generalmusikdirektor Guillermo García Calvo. Laut und unsensibel geht es zu, wo Klangfarbenreichtum gefragt wäre, wird es allenfalls schneller und lauter. Hörner und Trompeten hatten keinen guten Abend, auch die Streicher gehen die Partitur eher ungefähr an.
Das färbt natürlich auch auf die Sänger ab: Vor allem Viktor Antipenko als Florestan setzt auf Kraftentfaltung, auch Pauliina Linnosaari hält sich als Leonore nicht lange mit Zwischentönen auf. Siyabonga Maqungo bietet als Jaquino einige vokale Lichtblicke in seiner kurzen Partie, auch Magnus Piontek (Rocco) und Krisztián Cser (Don Pizarro) machen ihre Sache gut. Weil Regisseur Robert Lehmeier die richtigen Fragen an das Stück stellt, ist die Aufführung jedoch trotz aller musikalischen Defizite kurzweilig und regt zum Nachdenken an.
von Uwe Friedrich, MDR KULTUR