Sächsische Zeitung, 24.6.2013
Frrreunde, das Leben ist lebenswert!
Zum guten Saison-Ende zeigt Dresdens Staatsoperette Lehars Spätwerk „Giuditta“ mit allen Untiefen, Idolen und Realitäten
Sie ist nicht lustig, die Geschichte von Giuditta, die sich entfalten will, schön und frei sein und das Leben genießen. Und die letztendlich nur einen Käfig gegen den nächsten, vielleicht etwas glänzenderen, eintauscht. Auch der Offizier Octavio, der gleich zu Anfang begeistert ruft: „Freunde, das Leben ist lebenswert!“ und Giuditta im Sturm erobert, hat kein Glück. Seine Liebe zu Giuditta läßt ihn den Armeedienst aufgeben, sich selbst verraten und zum Barpianisten verkommen, ohne sie jemals zu gewinnen. Zum Schluss ein melancholischer Abschiedsgruß ohne Hoffnung.
Selbst das Buffopaar Pierrino und Anita landen mit ihren hochfliegenden Plänen vom künstlerischen Erfolg im kolonialen Afrika schnell und brutal in den Realitäten einer Welt, die sie nicht einmal mehr zurücklässt auf ihre Plätze als Obsthändler und Fischmädchen.
Franz Lehars „Giuditta“ bezeichnen die Autoren als „Musikalische Komödie“, wohl aber eher wegen ihrer Stellung zwischen Oper und Operette als wegen ihrer heiteren Handlung. In den frühen Dreißigern komponiert und ohne sich politisch zu geben, spiegelt sie die Welt des schönen Scheins der faschistischen Propaganda. Nimmt man das Stück heute ernst, muss dieser Hintergrund sichtbar werden.
Ausblick auf Afrikas Wüste
Der Staatsoperette Dresden gelingt diese Gratwanderung zum Saison-Ende. Einerseits bedient sie die Geschichte in ihrer operettenseligen Weltfremdheit und ihrem melancholischen Abschied davon. Lehars dichtgewebte Musik, seine farbigen Instrumentierungen und Klangstrukturen wie die eingängigen Melodien und klar rhythmisierten Tanzeinlagen können ihren ganzen Reiz entfalten. Andererseits werden die gesellschaftlichen Konflikte, die Probleme von Handlungsverläufen und Haltungen, nicht ausgeblendet. Regisseur Robert Lehmeier und Ausstatter Markus Meyer haben sehr genau und fundiert gearbeitet. Mit Disziplin in den Aktionen, einer wohldosiert-charakterisierenden, reduzierten Spielweise (Choreographie Christoper Tölle) erzeugt diese Inszenierung genau die Ambivalenz zwischen Unterhaltung und Betroffenheit, die das Stück zum anregenden Theatererlebnis werden läßt.
„Giuditta“ an der Staatsoperette spielt im obersten, letzten Rang eines Theatersaals. Immer wieder öffnet sich der Plafond und gibt Ausblicke frei. Auf afrikanische Wüste, auf eine Show-Bühne, die Postkartenlandschaften Südeuropas. Dieses ästhetisch gelungene und praktikable, weil sehr geschickt ausgespielte Bühnenbild bietet viele Assoziationsmöglichkeiten. Kostüme und Haltungen spielen zusammen und erinnern an die Bilder großer Ufa-Stars und die Erfindung der „Frontunterhaltung“. Lehmeier wird auch konkreter. Ein altes Ehepaar im Mantel und mit Pappkoffern, Vertriebene, gehen durch die Bilder. Parallel zum letzten großen Liebeslied begeht es Selbstmord. Ende der Illusion.
Eine Stärke der Inszenierung ist die bis in die kleinste Rolle konkrete Figuren- und Dialogregie. Das Operettenensemble und sein Chor können spielen, wenn sie wissen, welche Rolle, welche Figur sie darzustellen haben. Auch die Besetzung von Nebenrollen mit Solisten war ein Gewinn.
Strahlende Diva Ingeborg Schöpf
Aus dem insgesamt sehr gut agierenden Ensemble ragt Ingeborg Schöpf heraus, die in der Premiere die Titelpartie gestaltete. Strahlend schön, ausdrucksstark, ganz Diva. Das komische Gegenstück sind Pierrino und Anita. Sie werden putzmunter und mit beängstigend ernstem Untertext gespielt und gesungen von Olivia Delauré und Andreas Sauerzapf. Großartig in seiner bemitleidenswerten Hilflosigkeit ist Frank Blees als Giudittas Ehemann Manuele, nachvollziehbar Artjom Korotkov als verzweifelnder Liebhaber Octavio. Leider hatte sich der Tenor beim Auftrittslied etwas weit aus dem Fenster gelehnt, sodass er große Mühe hatte, die „Tauber-Partie“ stimmlich durchzustehen. Problematisch war da vor allem, dass er vom Pult kaum Unterstützung erhielt.
Das Orchester der Staatsoperette lieferte unter Christian Garbosnik einen solide gearbeiteten, klangschön musizierten Lehar. Allerdings wäre dem Dirigenten in der dynamischen Abstimmung, insbesondere in der Zurücknahme der Orchesterfülle zugunsten der Sänger, ein wenig mehr Sensibilität zu wünschen, was dem Gesamteindruck der Inszenierung dienlich wäre. Aber das kann ja schon bei der nächsten Vorstellung besser sein. Diese „Giuditta“- wird sich, allen Buh-Rufern zum Trotz, als Qualitätsmaßstab behaupten.