Opernnetz
Das manipulative Umfeld
Vor der Oper kommt das stumme Theater. Während sich der Zuschauerraum in Osnabrück füllt, sieht man auf der Bühne die Familie Calatrava. Das Familienoberhaupt, der Marchese, beobachtet unheimlich liebevoll seine kleine, puppenhafte Leonora. Sein Sohn Carlo poliert sein Spielzeuggewehr und schießt begeistert auf die anwesenden Frauen. Als der Marchese seine Tochter auf seinen Schoss zieht, setzt die Ouvertüre zu Verdis Die Macht des Schicksals mit dem gnadenlosen Schicksalsmotiv ein.
Robert Lehmeier inszeniert die nicht ganz unkomplizierte Oper mit pessimistischem Kalkül. Ihm geht es weniger um die schicksalhaften Zufälle, die die Geschwister und Leonoras Liebhaber Alvaro wieder zusammen führen, sondern wie sie an ihren eigenen Wünschen und Moralvorstellungen in einem manipulativen Umfeld zu Grunde gehen. Dieses Umfeld wird von Lehmeier sehr genau, aber teilweise auch plakativ und oberflächlich beschrieben. Auch die mittlerweile obligatorische Vergewaltigung auf der Bühne darf dabei nicht fehlen. Die kriegstreibende Gesellschaft wird angefeuert durch die medienwirksame Rekrutierungsbeamtin Preziosilla und ihr weibliches Gefolge. Sie sammeln illegale Flüchtlinge ein, animieren sie zum Krieg, stellen den Männern auch ihre Körper zur Verfügung, um sie bei Laune zu halten. Die andere treibende Kraft ist eine institutionalisierte Kirche, wo sich die Mönche, angeführt vom planenden Fundamentaltheologen Fra Melitone, hinter Kapuzen und der Bibel verschanzen. Nur Padre Guardiano erkennt machtlos, dass hier scheinheilige Erlösung propagiert wird, wo menschliche Hilfe notwendig wäre.
Dieses Umfeld demontiert die drei Hauptpersonen gnadenlos, so dass sie am Ende als gebrochene Menschen nur der Tod erwartet. Lehmeier inszeniert bei ihnen eine sehr gelungene Entwicklung. Alvaro, der gerne nur der Ehemann wäre und die grausame Familiengeschichte hinter sich lassen möchte, landet im Rollstuhl. Leonora, die von allen Männern als fügsame Frau herumgeschubst wird, sucht den Frieden des Kreuzes, bekommt aber nie die Gelegenheit, ihre Probleme zu bewältigen. Immer wieder legt sie ihre Erinnerungsfotos wie Tarot-Karten vor sich aus. Der seinem alten Ehrenkodex, der in diesem System nur höhnisches Gelächter hervorruft, unterworfene Carlo scheitert schließlich an seiner eigenen Rache, weil er auf das Duell mit Alvaro besteht. Die Kostüme von Tom Musch zeichnen den Niedergang der Personen genau mit. Von stattlichen und altmodischen Anzügen und Kleidern enden die Personen in schmuddeligen Trainingsanzügen und – in Leonoras Fall – in einer Kutte, die Ähnlichkeit mit einer Zwangsjacke hat. Das Einheitsbühnenbild von Tom Musch, eine „Wand der Ideologie“, nennt Robert Lehmeier das, lässt die völlig heimatlosen Menschen in einem Graffiti-Hinterhof stranden, von deren Wänden alle möglichen Vertreter und Symbole aus Religionen, Comic und Politik auf die Menschen herabschauen. Ein starker Einfall ist die bühnenhohe Feuertreppe im Hintergrund. Sonst ja ein Fluchtweg aus dem Haus, ist sie in diesem Fall ein Fluchtweg Leonoras aus ihrer Existenz in ihre Klause.
Umso erfreulicher ist das anwesende Publikum, das diese Leistung entsprechend würdigt, die Vorstellung sehr aufmerksam verfolgt und am Ende vor allem die Musiker feiert. Dass das Regieteam am Ende auch deutliche Buhs abbekommt, ist ein gutes Zeichen dafür, dass dieser Denkansatz diskutabel ist.