Die Kamera ist immer dabei
Hintersinnige Inszenierung der Flotow-Oper „Martha“ in Schwerin
Schweriner Volkszeitung Ostern 2009
Es fing ganz stilvoll an, als sich zur Premiere der Oper „Martha“ von Friedrich von Flotow am Donnerstagabend im Großen Haus des Mecklenburgischen Staatstheaters das Licht eindunkelte und mit schweren Akkorden die Ouvertüre begann. Die Staatskapelle musizierte unter der Leitung ihres Chefdirigenten Mathias Foremny spannungsvoll, mit noblem Klang und einer reichen Palette dynamischer Möglichkeiten. Diese musikalische Noblesse und Eleganz behielt sie den ganzen Abend über bei und bediente damit die Erwartungen der Flotow-Kenner vorzüglich. Dann schälte sich aus dem grauen Bühnenvorhang ganz allmählich ein Bild – die „Queen“. Nein, kein Foto. Überlebensgroß lächelte sie vom Vorhang herab, blickte auch zuweilen streng, atmete heftig. Ein Minenspiel, das sich jeweils zwischen den Bildern wiederholte und auf grandiose Weise stets Bezug nahm auf den Fortgang der Handlung. Und hinter Brillantcollier, Perücke und Schminke steckte – ein Mann, Jan Pawluczuk. Mehrmals bekam er Applaus für diese ergötzliche Anwesenheit.
Dann begann die Geschichte von der bei Hofe gelangweilten Lady Harriet, die sich mit ihrer Freundin Nancy ur Belustigung auf den Markt von Richmond begibt, wo Mägde ihre Dienste für jeweils ein Jahr anbieten. Zu spät merken die verkleideten Damen, dass sie einen gültigen Kontrakt geschlossen haben und nun mit den Pächtern aufs Land müssen, um dort zu arbeiten. Das können beide zwar überhaupt nicht, ist aber nicht so schlimm, denn sie sind dabei so reizend, dass sich zumindest Lyonel sogleich in die Lady, die sich Martha nennt, verliebt. Die Geschichte ist dürftig, geht aber bekanntlich nach einigem Hin und Her doch gut aus.
Was nun Regisseur Robert Lehmeier mit dieser Geschichte anstellt, ist überraschend und hintersinnig zugleich. Den Markt zu Richmond inszeniert er als banale Fernseh-Show, genauer: als die banale Inszenierung einer Fernseh-Show, in der einsame Landwirte arbeitsame Partnerinnen suchen. Inklusive Kameramann und genervter Regieassistentin. Das passt, ohne dass das Stück dafür irgendwo verbogen werden müsste. Andere Versatzstücke fügen sich ein, wenn Harriets Cousin Lord Tristan die Damen wie Spiderman aus ihrem Landaufenthalt befreit und daraufhin die Alarmanlage losgeht, die die Dorfwehr im Schlafanzug mobilisiert. Selbst Hund und Glücksschwein sehen aus wie Mickymaus-Geschwister aus Disneyland. Vor allem aber schafft sich der Regisseur mit der Show die Möglichkeit, den dramaturgisch wenig überzeugenden Stückschluss zu packen. Da wird eine falsch gelaufene Szene einfach neu gestellt und nachgedreht und so der hohle Schein der ganzen Darbietung bloßgestellt. Die Kamera ist dabei der schlimmste Voyeur, der in jeden Kochtopf ebenso schaut wie in ein weinendes Auge.
In dieser Show agiert ein ganz vorzügliches Ensemble. Ulrike Maria Maier hat als Lady in jeder Situation verführerisches Getue drauf, mit dem sie Männer um den Finger wickelt. Als Nancy steht ihr Sarah van der Kemp mit einem wunderbar ausgeprägten Mezzosopran und souveräner Fernseh-Spieltauglichkeit zur Seite. Frank Blees lässt sich als Plumkett von niemandem die Butter vom Brot nehmen. Glänzend auch der Tenor Andreas Hermann als Lyonel, dessen lyrische Passagen schön klingen, dessen Forte sich aber brillant noch darüber hinausschwingt. Umgeben wird das Ensemble von einem prächtig klingenden und hervorragend spielenden Chor und Extrachor in der Einstudierung von Ulrich Barthel. In den jubelnden Applaus am Ende mischten sich viele Bravorufe für die Solisten und einzelne Buh-Rufe für das Regie-Team – möglicherweise fühlten sich einige Zuschauer bei ihren Fernseh-Vorlieben ertappt.